Historie

„Hab ich Gottes Segen ist mir an
Haß und Mißgunst nichts gelegen“

Der Günnemann-Kotten in Rüdinghausen erzählt viele Geschichten

  • Die Hofstelle existiert bereits seit 1668.
  • Das heutige Gebäude wurde von 1786 – 1788 errichtet und in die Denkmalliste der Stadt Witten am 31.5.2002 eingetragen.
  • Von 1818 bis 2019 war der Kotten durchgängig im Besitz einer Familie.
  • Seit der Einheiratung von Hermann Günnemann 1717 hängt der Name am Hof und wurde von nachfolgenden Generationen übernommen.
  • Das Gebäude ist eines der wenigen erhaltenen Fachwerkgebäude in Rüdinghausen und Umgebung.
  • Es ist ein bauliches Zeugnis der Geschichte der tradierten, ländlichen Lebensweise der Region.

Baugeschichte

Die Hofstelle des Günnemann-Kotten lässt sich auf das Jahr 1668 zurückführen. In diesem Jahre ließ der Anwalt und kurfürstlicher Rat bei der kurfürstlichen Regierung der Grafschaft Mark in Kleve, Johan Friderich von Omphal zu Gummersbach, Eberbach und Steinkuhl für eines seiner 12 Kinder ein Fachwerkgebäude errichten. Nach der Fertigstellung zog dort seine Tochter Anna Margreth ein. Bauliche Zeugnisse aus dieser Zeit sind bisher nicht gefunden worden.

Erst gut hundert Jahre später entstand laut Deelenbalken im Jahre 1788 das heutige Gebäude „Günnemann-Kotten“. Es wurde von der bäuerlichen Pächterfamilie errichtet, die schon seit 1682 oder 1689 die Hofstelle bewirtschaftet hatte. 1786-1788 baute sie, wahrscheinlich auf eigene Kosten, den heutigen Günnemann-Kotten. 1818 kaufte die Familie den Kotten für 1800 Taler und blieb bis ins Jahr 2019 ohne Unterbrechung Eigentümerin.

Beim denkmalgeschützten Günnemann-Kotten handelt es sich um ein Fachwerkhaus in Vierständerbauweise mit zweigeschossigem Wohn- und Wirtschaftsteil unter einem Satteldach. Der Wirtschaftsteil wurde durch das Deelentor erschlossen, der Wohnteil durch die Haustür, die an der westlichen Traufseite liegt. Zwei unterschiedliche Arten von Streben sind feststellbar: symmetrisch angeordnete, im unteren Bereich geknickte Ständer-Rähm-Streben sowie unregelmäßig angeordnete, gerade Schwelle-Rähm-Streben. Beide Giebeldreiecke sind verbrettert und das Deelentor ist teilweise zugemauert. Der Torbalken trägt die Inschrift „Durch Haß und Neid ist niemand befreit. Hab ich Gottes Segen ist mir an Haß und Mißgunst nichts gelegen. Bernhard Heinrich Pferdekämper, Catharine Korfmann 1788“. Der Spruch unterstreicht den christlichen Glauben der Bewohner, ermahnt aber gleichzeitig – vielleicht nicht ohne Grund – die Nachbarn, sich das Leben nicht gegenseitig zur Hölle zu machen.

Luftaufnahme Günnemann Kotten in Witten-Rüdinghausen von 1980.
Luftaufnahme, 1980

Über dem Deelenbalken befindet sich ein Fries mit Andreaskreuzen. Weitere Andreaskreuze sind an den anderen Fassaden erhalten. Der Hof besitzt vier Fensterachsen. Der Wohnteil ist im Verhältnis zum Stall außergewöhnlich groß – ein Hinweis darauf, dass Landwirtschaft nur vorübergehend Haupterwerb war. Die Innentüren mit schmiedeeisernen Schlössern stammen zum Teil noch aus der Bauzeit. Das Dach wurde wahrscheinlich im 19. Jahrhundert erneuert und im Gebäudeinneren bauliche Veränderungen vorgenommen. Der ebenfalls denkmalgeschützte Stallanbau an der nördlichen Giebelwand geht gleichfalls auf das 19. Jahrhundert zurück. In den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts mauerte man schließlich fast alle Gefache mit Backsteinen aus.

Das Gebäude ist eines der wenigen erhaltenen Fachwerkgebäude in Rüdinghausen und Umgebung. Es zeigt den Wandel der Fachwerkkonstruktion in einer Übergangsphase – wofür die unterschiedlichen Formen der Streben und die Gestaltung der Fassaden Belege sind. Das Haus gibt Zeugnis über die bauliche Anpassung an sich verändernde Lebensverhältnisse. Die noch vorhandene Gliederung der Hofstelle lässt bis heute die Siedlungsform der Alleinanlage erkennen, die für die Region typisch war. 

Bewohner und Bewohnerinnen

Der Günnemann-Kotten zeugt vom einfachen Leben der hiesigen Bevölkerung. Das Gebäude, der Anbau, ein noch vorhandener Bunker und die Hofstrukturen zeigen in Kombination mit archivalischen Dokumenten, Interviews mit Zeitzeugen und Sekundärliteratur die Stärken und die Problembewältigungsstrategien der Menschen über die Zeiten hinweg: Wie sie auf kleiner Fläche nachhaltige Landwirtschaft betrieben und ihr Leben dann durch die Industrialisierung beeinflusst wurde. Wie die Zechen dem Kotten einerseits das Wasser abgruben, aber andererseits zusätzliche Verdienstmöglichkeiten eröffneten. Vor allem aber stellte die nationalsozialistische Zeit die Bewohner und Bewohnerinnen des Kottens vor eine Zerreißprobe. Sie schwankten zwischen aktivem Mitmachen, Nutznießen, Rückzug, Passivität und vorsichtigem Widerstand. Schließlich folgte der schleichende Bedeutungsverlust der Landwirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg, so auch in Rüdinghausen. Diese Entwicklung ließ keinen Platz mehr für Kleinbetriebe wie den Kotten. Es folgten Landverkauf und die Einschnürung der Hofstelle durch Eigenheimsiedlungen.

Letzte Bewohnerin mit Kinderwagen vor dem Günnemann Kotten, 1994
Letzte Bewohnerin vor dem Günnemann Kotten

Literatur:

  • Manns, Adolf, Der Günnemanns Kotten Brunebeckerstr. 98, in: ders., Witten – Werden und Wege einer Stadt (unveröffentlichtes Manuskript, Stadtarchiv Witten).
  • Hücker, Wilhelm, Die Entwicklung der ländlichen Siedlung zwischen Hellweg und Ardey. Oberamt Hörde, Münster 1939, S. 44.
  • Denkmalpflegerisches Gutachten des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe zur Unterschutzstellung des Günnemann-Kotten.